Mehr als ein Wortspiel: wissenschaftliche Grundlagen des Phänomens „hangry“

Autor*in:  | 14. Dezember 2023

MacCormack, J. & Lindquist, K. (2019)

Leitartikel: Feeling Hangry? When Hunger Is Conceptualized as Emotion.

In unseren hektischen Alltagen ist es nicht ungewöhnlich, dass der Magen knurrt und die Laune sinkt – ein Phänomen, dem wir alle schon begegnet sind.

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Auswirkungen von Emotionen auf unsere Sinneswahrnehmungen belegen. Weniger im Fokus der Forschung stehen jedoch die Konsequenzen von Zuständen wie Hunger auf Wahrnehmungen, Entscheidungsfindung und zwischenmenschliche Abläufe.
Und dennoch nehmen Menschen unbewusst die Tatsache wahr, dass Personen, die nicht (ausreichend) gegessen haben, zu Impulsivität, Aggressionen, Reizbarkeit, Stress und generell schlechterer Stimmung neigen.

Viele kennen diesen schlechtgelaunten Zustand unter dem Begriff „Hangry“. Diese clevere Kombination aus „hungry“ (hungrig) und „angry“ (verärgert, wütend) hat es sogar in das renommierte „Oxford Dictionary“ geschafft und wird hier definiert als „schlecht gelaunt oder reizbar aufgrund von Hunger“. Doch hinter dem Spaß verbirgt sich mehr, wie die Psychologinnen Jennifer MacCormack und Kristen Lindquist von der University of North Carolina in Chapel Hill in ihrem Artikel beschreiben.

Mögliche ursächliche Mechanismen
Lange Zeit wurde vermutet, dass negative, stark erregte Emotionen oder Ausbrüche von Aggressionen während des Hungers auftreten, da Menschen ohne ausreichenden Blutzuckerspiegel Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu regulieren (beispielsweise DeWall et al., 2011). Die Ursache für eine negative Affektlage durch Hunger sntstehe laut dieser Theorie also durch mangelnde Selbstkontrolle durch Erschöpfung.

Ein weiterer Erklärungsansatz geht davon aus, dass bei der Entstehung von Hunger und schlechter Stimmung ähnliche neuronale Prozesse beteiligt sein könnten. Die Beeinflussung des Affekts durch Hunger kommt zustande, indem beispielsweise der Blutzuckerspiegel sinkt, wodurch das Stoffwechselhormon Ghrelin eine Vielzahl von Hormonen wie Cortisol (unser „Stresshormon“) auslöst, was wiederum eine unangenehme Gefühlslage hervorruft.

Auch bezüglich aktivierter Hirnregionen zeigen sich Zusammenhänge. So werden beispielsweise der anteriore cinguläre Kortex, die Insula und die Amygdala sowohl durch Hunger als auch durch Affekte und Emotionen aktiviert.

Voraussetzungen für das Auftreten von „Hangryness“
Die Psychologinnen gehen in ihrer Forschung davon aus, dass es grundsätzlich eines negativen situativen Auslösers bedarf, um unangenehme, stark erregte Emotionen und härtere zwischenmenschliche Urteile durch Hunger auszulösen.
Zum anderen gehen die Forscherinnen davon aus, dass hungrige Personen sich d ihrer emotionalen Verfassung nicht bewusst sein dürfen, da sie sonst den Grund für ihr Unwohlsein nicht in der Situation suchen.

Ergebnisse aus den Studien
In zwei ersten Experimenten wurden den Versuchsteilnehmenden Bilder gezeigt, welche entweder einen negativen oder einen positiven Affekt auslösten. Anschließend folgte ein mehrdeutiges Piktogramm, welches sie bewerten sollten. Es zeigte sich, dass hungrige Personen die Piktogramme zwar negativer bewerteten, als gesättigte – jedoch nur unter der Bedingung, dass sie vorher ein negatives Bild dargeboten bekommen hatten. Hunger allein führte also offenbar nicht zwangläufig zu einer Verschlechterung der affektiven Wahrnehmung der Piktogramme. Stattdessen neigten die Menschen dazu, dem hungrig bedingten Gefühl automatisch eine negative Bedeutung beizumessen, wenn es auf eine negative Situation folgte.

Die dritte Studie hat das Thema erweitert und gezielt Hunger und den Fokus auf Emotionen untersucht. Die Teilnehmenden erhielten die Aufgabe, einen Text zu schreiben, welcher entweder bewusst Emotionen („Wut“, „Traurigkeit“ usw.) beinhalten sollte oder neutrale, nicht-emotionale Informationen.
Zur Messung ihrer Affektlage wurde zum einen ihr Durchhaltevermögen bei einer mühseligen Aufgabe erhoben und zum anderen ihre Reaktion in einer Anschlussbefragung, nachdem nach der Verfassung ihres Textes der Computer abgestürzt ist und ihnen die Schuld für den Defekt zugewiesen wurde.
Hunger löste hier negative Gefühle aus, besonders wenn die Aufmerksamkeit nicht bewusst auf Emotionen gerichtet wird. Hungern kann auch zu negativen, antisozialen Gefühlen führen, wenn man sich nicht explizit auf Emotionen konzentriert.

Die Studie zeigt auch, dass Hunger nicht primär die Selbstkontrolle beeinflusst, wie bisher angenommen wurde. Hungrige und satt gefühlte Menschen unterscheiden sich nicht in ihrer Fähigkeit zur Selbstregulation.
Stattdessen legt die dritte Studie nahe, dass das Gefühl, hungrig zu sein, davonkommt, dass wir hungerbedingte negative Gefühle als unangenehme, aufgeregte Emotionen in einem bestimmten Kontext interpretieren. Auch wenn „hungrig“ oft mit Wut assoziiert wird, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass Menschen nur wütend sind.

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