Zwischen Tradition und Psychologie: Psychologische Sicht auf weihnachtliche Bräuche.

Autor*in:  | 27. Dezember 2023

Herzog, M. & Ropeter, F. (2018)

Leitartikel: Weihnachtliche Bräuche, Rituale und deren psychologischer Hintergrund.

Das Weihnachtsfest gehört zweifellos zu den wichtigsten Familienfesten des Jahres. Inmitten von Lichtern, festlichen Dekorationen und dem Duft von Zimt und Tannennadeln pflegen wir lieb gewonnene Traditionen. Doch hinter diesen scheinbar einfachen Bräuchen verbirgt sich eine faszinierende psychologische Dimension. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die versteckten Aspekte der weihnachtlichen Bräuche und Rituale, um die zugrundeliegenden psychologischen Prozesse zu erkunden, die diese festliche Zeit so einzigartig machen.

Weihnachten ist ein christliches Fest, welches der Geburt Jesu Christi gewidmet ist (daher auch „Christfest“ oder englisch „Chrismas“). Im Judentum, Hinduismus, Buddhismus und Islam wird dieser Anlass daher selbsterklärend nicht nicht gefeiert, in einigen Ländern, wie beispielsweise Somalia, ist das Feiern von Weihnachten sogar landesweit verboten.
Innerhalb der westlichen Länder ist Weihnachten jedoch sowohl für christliche, als auch für atheistische Menschen Tradition.
Doch auch hier unterscheidet sich die genaue Gestaltung des Fests. In Deutschland wird traditionell am 24. Dezember, an „Heiligabend“, die Bescherung durchgeführt. Doch das war nicht immer so. Das gegenseitige Beschenken wurde erst im 16. Jahrhundert eingeführt, fand jedoch ursprünglich zum Nikolaustag (6. Dezember) statt. Auch der Brauch eines geschmückten Weihnachtsbaumes wurde erst im 18. Jahrhundert etabliert – zu Beginn nur in Kreisen des wohlhabenden Adels.
In den Niederlanden wird hingegen nicht der Heilige Abend, sondern der Nikolaustag als Weihnachtsfest gefeiert. Ähnlich wie in Deutschland werden am Vorabend des Feiertages die Schuhe geputzt und aufgestellt, sodass „Sinterklaas“ diese bis zum Morgen mit Süßigkeiten und Geschenken füllen kann. Der 25. Dezember ist in diesem Land eher ein religiöses Ereignis.
Spanien und Russland feiern hingegen erst im Neujahr das Weihnachtsfest. Anstatt eines Weihnachtsmanns sind es in Spanien die Heiligen Drei Könige, die den Kindern am 6. Januar die Weihnachtsgeschenke bringen. Am 7. Januar werden Kinder in Russland der Tradition gemäß, wie in vielen osteuropäischen Ländern mit orthodoxer Religion, von „Väterchen Frost“ zusammen mit seiner Enkelin, dem „Schneemädchen“, beschenkt.

In den folgenden Abschnitten soll nun die Frage beantwortet werden, welche psychologischen Motive und Bedürfnisse diese Traditionen seit so vielen Jahrzehnten antreiben.

Der Weihnachtsbaum
Die Tradition des Schmücken von Weihnachtsbäumen geht zurück bis ins 16. Jahrhundert und ist in vielen Kulturen sehr beliebt. Doch warum ist die immergrüne Pflanze in den meisten Haushalten in der Weihnachtszeit nicht mehr wegzudenken?
Mögliche Erklärungen finden sich unter anderem in den klassischen Lerntheorien der Psychologie, wie beispielsweise der sogenannten „klassischen Konditionierung“. Diese besagt, dass, wenn wir in einer Situation wiederholt einen Reiz mit einer bestimmten emotionalen Reaktion verbinden, dieser Reiz schließlich allein ausreichen kann, um dieselbe Reaktion hervorzurufen, ohne dass die ursprüngliche Situation erneut erlebt wird (Pavlov, 2003).
So kann also bereits nur das Sehen eines Weihnachtsbaumes oder das beziehungsweise der Gedanke an ihn ein Gefühl von Kindheit, Wärme und Nähe zur Familie auslösen. Je nach persönlichen Erfahrungen kann ein Weihnachtsbaum natürlich auch negative Emotionen hervorrufen.
Doch auch Weihnachtstraditionen bleiben von gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungsdynamiken nicht unberührt. Während die Herstellung von Christbaumschmuck früher eine Familienangelegenheit war, werden handgemachte Erinnerungsstücke zunehmend durch industriell hergestellte Dekorationen ersetzt. Hier lässt sich eine zunehmende Tendenz zur Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes beobachten. Anstelle bescheidener gemeinschaftlicher Familienzeit steht heute vor allem das Kaufen und Besitzen im Fokus. Dieser „Wettbewerb“ wird noch verstärkt durch das Teilen der eigenen Weihnachtsvorbereitungen auf Social Media – nicht selten schafft es die am schrillsten dekorierte Häuserfassade sogar in die Zeitung oder ins Fernsehen. Wir vergleichen uns fortwährend mit anderen („Theorie des sozialen Vergleichs“, Festinger, 1954) und verlernen dabei, den Moment wirklich zu genießen.
Da natürlich immer jemand über „schönere“ oder mehr Güter verfügt, gibt es einige unbewusste psychologische Vorgänge, welche der resultierenden Unzufriedenheit entgegenwirken.
Man spricht beispielsweise von einem „Above-Average-Effekt“ (Brown, 1986) oder vom „Overconfidence-Bias“ (Kahneman u. Tversky, 1979), wenn wir unsere eigenen Fähigkeiten (zum Beispiel im Bezug auf das Schmücken) als höher einschätzen, als die anderer Personen. Auch der „Besitztumseffekt“ („Endowment-Effekt“, Thaler, 1980) führt dazu, dass wir unsere eigenen Besitztümer als wertvoller betrachten als andere, selbst dann, wenn es sich um exakt die gleichen Objekte handelt.
Eine weitere psychologische Strategie ist es, sich mit denjenigen Menschen zu vergleichen, die weniger besitzen als man selbst („downward social comparison“, Festinger, 1954). Unbewusst führt dies zu Wohlbefinden und einer Steigerung des Selbstwertgefühls, das Bewusstwerden derartiger Gedankengänge kann jedoch häufig Mitleids- oder Schuldgefühle auslösen.

Weihnachtliche Lichter
Ein kulturübergreifendes Symbol für die Weihnachtszeit sind Lichter in allen Formen und Farben.  Dieses Symbol findet sich in nahezu allen Weihnachtsfeierlichkeiten dieser Welt, denn es ist verbunden mit einem Gefühl von Wärme, vor allem aber auch mit einem Gefühl der weihnachtlichen Vorfreude. Auch dies wird bestimmt durch klassische Konditionierung, indem, ähnlich wie auch beim Christbaum, Kerzenschein und bunte Farben durch Kindheitserinnerungen mit Glück, Wärme und Freude beim Auspacken der Geschenke assoziiert wird.

Bescherung am Heiligabend
Auch die Gabe von Geschenken ist für die meisten Kulturen ein fester ritueller Bestandteil des Weihnachtsfestes. Das Schenken und die damit empfundenen Gefühle sind dabei auf eines der ältesten und bedeutendsten psychologischen Konzepte zurückzuführen: der „operanten Konditionierung“ (Skinner, 1953). Darunter versteht man eine Art „Belohnungs- und Bestrafungslernen“. Wir alle haben als Kinder wohl schon die Frage „Bist du denn auch brav gewesen?“ gehört. Dieser Logik liegt dieses Lernen zugrunde, dass ein Verhalten durch positive Reize (Belohnungen) verstärkt und demnach öfter gezeigt wird. Bestrafende Reize führen hingegen dazu, dass Verhalten in Zukunft nicht mehr oder weniger auftritt. Die Gabe oder auch der Entzug von Geschenken zum Weihnachtsfest dienen dementsprechend entweder als positiver oder negativer Verstärker für bestimmte Verhaltensweisen.

Die Bedeutung von Familie und Freunden an Weihnachten
Ein Bedürfnis, welches in der Weihnachtszeit bei vielen Menschen besonders stark ausgeprägt ist, ist das nach Zugehörigkeit („need to belong“, Baumeister u. Leary, 1995).
Wenn dieses nicht erfüllt werden kann, hat dies negative Folgen, wie beispielsweise Einsamkeits- oder Sinnlosigkeitsgefühle bis hin zu Depressionen, sowie einer verschlechterten Selbstregulation und einer Schwächung des Immunsystems (Baumeister et al., 2005). Nicht verwunderlich ist es daher, dass psychiatrische Einrichtungen nach den Weihnachtsfeiertagen von steigenden Zahlen an selbstmordgefährdeten Neuzugängen berichten (Müller, 2016).
Dieses Bedürfnis zeigt sich auch darin, dass Menschen während der Weihnachtstage durchschnittlich ein sozialeres und versöhnlicheres Verhalten zeigen.

Dr. Sabine Wienker-Piepho von der Universität Jena ist sich daher sicher: trotz der Digitalisierung und anderen sozialen Veränderungen, wird die Weihnachtszeit auch in zukünftigen Generationen immer mit Werten der Hoffnung, Besinnung und Nächstenliebe verbunden bleiben und somit auch noch in 100 Jahren ähnliche Gefühle in uns auslösen.

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