Wenn der Job zur Berufung wird: Charakterstärken bei der Arbeit
Ruch, W. & Gander, F. (2016)
Leitartikel: Charakterstärken und Wohlbefinden bei der Arbeit: Wann der Job zur Berufung wird.
Die amerikanischen Psychologen Christoph Peterson und Martin Seligman haben 2004 das Konzept der „Values in Action Classification of Strengths (VIA)“ entwickelt, wo sie sechs Tugenden klassifizierten, welchen wiederrum verschiedene Charakterstärken untergeordnet sind. Jene Charakterstärken werden als unterschiedliche Wege verstanden, die Tugenden auszuleben. Es handelt sich dabei um moralisch positiv bewertete Eigenschaften, welche sich im Denken, Fühlen und Verhalten äußern und über die Zeit und über verschiedene Situationen hinweg stabil, aber dennoch veränderbar sind.
In der Forschung wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch zwischen drei und sieben jener Charakterstärken aufweist.
Die verschiedenen Tugenden und ihre zugeordneten Charakterstärken sind die Folgenden (für genauere Beschreibungen siehe Artikel):
Weisheit und Wissen:
- Kreativität, Einfallsreichtum und Originalität
- Neugier und Interesse
- Urteilsvermögen, kritisches Denken und Aufgeschlossenheit
- Liebe zum Lernen
- Weisheit, Weitsicht bzw. Tiefsinn
Mut:
- Tapferkeit und Mut
- Ausdauer, Beharrlichkeit und Fleiß
- Authentizität, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Integrität
- Enthusiasmus, Tatendrang und Begeisterungsfähigkeit
Menschlichkeit:
- Bindungsfähigkeit und Fähigkeit zu lieben
- Fürsorge und Altruismus
- Soziale Intelligenz bzw. soziale Kompetenz
Gerechtigkeit:
- Teamwork, Zugehörigkeit und Loyalität
- Fairness, Gleichheit und Gerechtigkeit
- Führungsvermögen
Mäßigung:
- Vergebungsbereitschaft, Verzeihung und Gnade
- Bescheidenheit und Demut
- Vorsicht, Klugheit und Diskretion
- Selbstregulation, Selbstkontrolle und Selbstdisziplin
Transzendenz:
- Sinn für das Schöne und Exzellenz
- Dankbarkeit
- Hoffnung, Optimismus und Zuversicht
- Humor und Verspieltheit
- Spiritualität, Religiosität und Glaube
Studien konnten zeigen, dass höhere Ausprägungen in allen Charakterstärken mit einem höheren Ausmaß an positiven Emotionen wie Freude, Zufriedenheit, Stolz, Liebe, Mitgefühl, Vergnügen, oder Ehrfurcht einhergingen (Güsewell & Ruch, 2012). Die größten Zusammenhänge zu einer erhöhten Lebenszufriedenheit zeigten dabei immer wieder die fünf Charakterstärken Hoffnung, Enthusiasmus, Bindungsfähigkeit, Neugier und Dankbarkeit (z.B. Peterson, Ruch, Beermann, Park & Peterson, 2007).
Doch auch Forschung zu Zusammenhängen zwischen Charakterstärken und Arbeitszufriedenheit zeigten sehr positive Ergebnisse. Die größten Effekte ergaben sich hier ebenfalls bei den fünf zuletzt genannten Stärken, sowie zusätzlich zu Ausdauer. Ebenfalls sagen diese fünf Charakterzüge am besten vorher, ob eine Person ihren Beruf als „Berufung“ wahrnimmt oder nicht.
Generell geht man davon aus, dass die Arbeitszufriedenheit zunimmt, je mehr der eigenen Stärken im Job eingesetzt werden können. Wer mindestens vier seiner Charakterstärken anwenden kann, nimmt seine Arbeit dabei sogar häufig als Berufung wahr.
Des Weiteren gibt der Artikel einige Vorschläge, um Charakterstärken zu fördern. Ein Beispiel hierfür sind webbasierte Interventionen (Gander, Proyer, Ruch, & Wyss, 2013). Diese umfassen einfache, kurze Übungen zu Charakterstärken wie Dankbarkeit (z.B. Schreiben eines „Dankbarkeitsbriefs“), Freundlichkeit (z.B. Zählen eigener freundlicher Gesten) oder Humor (z.B. täglich über die lustigsten Erlebnisse des Tages schreiben). Als besonders effektiv erwies sich dabei das Training der Anwendung der eigenen am stärksten ausgeprägten Stärken. Dies führte zu einem nachhaltigen Anstieg des Wohlbefindens, welcher bis zu sechs Monate nach der Übung noch anhielt.
Auch am Arbeitsplatz zeigte sich diese Übung als anwendbar und effektiv und führte zusätzlich zur Steigerung der Lebenszufriedenheit auch zu einer stärkeren Wahrnehmung seiner Arbeit als Berufung (Harzer & Ruch, 2016).