Grenzenlose Willenskraft? Neue Perspektiven in der Ego-Depletion-Forschung.
Price, D. (2018)
Leitartikel: Ego Depletion – eine selbsterfüllende Prophezeiung? Folgerungen für Manager und Professionals.
Seit Jahrzehnten wird in der Psychologie davon ausgegangen, dass Willsenskraft eine begrenzte Ressource ist. Wenn Personen also für einen längeren Zeitraum ihre Willenskraft beanspruchen, zum Beispiel beim Lösen komplexer Aufgaben bei gleichzeitigem Ignorieren von störenden Hintergrundgeräuschen, dann ist diese mit der Zeit ermüdet. Man spricht hier von sogenannter „Ego-Depletion“. Mögliche Folgen dieser Ermüdung sind impulsivere Entscheidungen oder unerwünschte Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Glücksspiel, übermäßiger Alkoholkonsum oder Wutausbrüche.
Roy Baumeister ist der Begründer der psychologischen Ego-Depletion-Forschung. In seiner 1998 durchgeführten Studie wurden Probanden Radieschen und Schokolade angeboten. Ihnen wurde jedoch gesagt, sie dürften nur die Radieschen essen. Nachdem sie dem Drang widerstanden hatten, die Schokolade zu essen, schnitten sie bei einem anschließenden komplizierten Puzzle schlechter ab. Teilnehmende, denen es erlaubt war, die Schokolade zu essen, zeigten hingegen keine Abnahme ihrer Fähigkeit, das Puzzle zu lösen. Der Psychologe Barry Schwarz kam ergänzend zu der Erkenntnis, dass auch das Treffen zahlreicher unterschiedlicher und komplizierter Entscheidungen die Willenskraft ermüdete.
Für die Arbeitswelt bedeutet dies, dass das Überbeanspruchen der Selbstbeherrschung und Willenskraft von Mitarbeitenden schwerwiegende negative Auswirkungen haben kann. Wenn also von Angestellten erwartet wird, über einen längeren Zeitraum ohne ausgleichende Ablenkungen zu arbeiten, kann dies dazu führen, dass diese künftig sowohl weniger zuverlässig als auch weniger fleißig arbeiten (Moller et al, 2006). Ähnliche Effekte können sich aufgrund eines lauten oder stark ablenkenden Arbeitsumfeldes zeigen.
Auch anderweitige Einschränkungen, wie beispielsweise Diäten oder Perfektionismus, können zu Ego-Depletion führen und somit die Leistung mindern.
Neuere Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Ego-Depletion nur für diejenigen existiert, die davon ausgehen, dass ihre Willenskraft begrenzt ist. In diesem Rahmen handelt es sich bei Ego-Depletion um eine “selbsterfüllende Prophezeiung”.
Job und Kollegen (2010) konnten diese Annahme bestätigen, indem sie eine verringerte Leistung bei einem Farb- und Wörterpuzzle feststellten, wenn zuvor eine ermüdende Schreibaufgabe durchgeführt wurde – jedoch nur bei Personen, die von einer Begrenzung der Willenskraft ausgingen.
Versuchsteilnehmende, die davon überzeugt waren, dass Willenskraft unerschöpflich ist, wurden von der vorherigen Schreibaufgabe nicht beeinträchtigt und schnitten weiterhin gut beim anschließenden Puzzle ab. Diese Forschungsergebnisse wurden von Konze et al. (2017) und weiteren Arbeitsgruppen bestätigt und ergänzt.
An dieser Stelle wird von dem Autor dieses Artikels, Dr. Price, erwähnt, dass die Willenskraft nicht völlig unbegrenzt ist – Menschen benötigen ausreichend Schlaf, Erholung und Pausen, um beispielsweise Burnout zu vermeiden (Evans et al., 2016).
Für die Arbeitswelt bedeutet dies, dass keine endlosen Anforderungen an Mitarbeitende gestellt werden sollten. Hilfreich ist es stattdessen, ermutigend und motivierend einzuwirken und so den Glauben an die eigene unerschöpfliche Willenskraft zu stärken.
Willenskraft kann als Muskel betrachtet werden, welcher durch Übung und Training gestärkt werden kann (Vohs et al., 2012). Die Entwicklung dieses „Muskels“ erfordert sowohl Belastung (z.B. durch neue Herausforderungen) als auch Entspannung.