Psychologie des Wandels
H. Awad, S. & Zittuon, T. (2024)
Das Interview zwischen Sarah Awad und Tania Zittoun konzentriert sich auf die Psychologie des Wandels und bietet tiefgehende Einblicke in die Natur von Veränderungen und deren Auswirkungen auf den Menschen. Tania Zittoun, Professorin für soziokulturelle Psychologie, beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung und den Übergängen im Lebenslauf. Sie nutzt Konzepte aus der semiotischen Kulturpsychologie, Psychoanalyse und Sozialwissenschaften, um die Komplexität menschlicher Entwicklung zu erfassen.
Zittoun betont, dass die Psychologie weit mehr umfasst als nur das Verhalten oder mentale Phänomene. Sie sieht die Psychologie als eine Wissenschaft, die darauf abzielt, die menschliche Erfahrung in ihrer Gesamtheit zu verstehen, einschließlich der Interaktion des Individuums mit seiner äußeren und inneren Welt. Dabei hebt sie hervor, dass psychologische Theorien und Praktiken oft Normen beinhalten, die unsere Bewertung von Entwicklung und Veränderung prägen. Diese Normen sind kulturell und historisch bedingt und beeinflussen unser Verständnis von menschlicher Entwicklung.
Ein zentraler Aspekt im Umgang mit Veränderungen sind symbolische Ressourcen wie Sprache, Kunst, Traditionen und Rituale. Diese Ressourcen ermöglichen es Menschen, ihre Identität und Lebensgeschichte zu gestalten und sich an große Veränderungen anzupassen. Die Imagination spielt dabei eine wesentliche Rolle, da sie eng mit diesen symbolischen Ressourcen verbunden ist. Durch die Imagination entwickeln Menschen neue Ideen und Zukunftsperspektiven, was für die menschliche Entwicklung und die Anpassung an Veränderungen von zentraler Bedeutung ist.
Zittoun zeigt auf, dass Menschen in Zeiten des Wandels eine Vielzahl von symbolischen Ressourcen nutzen, um große Lebensveränderungen zu bewältigen. Geschichten, Rituale und kulturelle Symbole bieten dabei Unterstützung und Orientierung. Eine der Herausforderungen für die zukünftige Forschung besteht darin, die sich schnell ändernden kulturellen und sozialen Kontexte sowie die Vielfalt der Erfahrungen zu berücksichtigen. Zittoun fordert, dass die Imagination und kreative Prozesse stärker in den Fokus gerückt werden, um besser zu verstehen, wie Menschen sich an Veränderungen anpassen.
Das Interview beleuchtet auch die Wechselwirkungen zwischen individuellen, sozialen und Umweltveränderungen. Zittoun verwendet Konzepte wie Soziogenese, Mikrogenese und Ontogenese, um zu erklären, wie Menschen auf Veränderungen reagieren und diese gestalten können. Ihre Forschung zur Schweizer Staatsbürgerschaft zeigt beispielsweise, wie bürokratische Prozesse das Leben von Einzelpersonen beeinflussen und wie Menschen Widerstand leisten können.
Zittoun erläutert, dass sowohl individuelle als auch breitere bevölkerungsbezogene Perspektiven kombiniert werden müssen, um die komplexen Prozesse des Wandels zu verstehen. Sie verwendet große Tagebuchdaten und maschinelles Lernen, um Muster über lange Zeiträume hinweg zu erkennen und individuelle Erfahrungen im Kontext breiterer Veränderungen zu erfassen.
Die Forschung von Zittoun hat auch praktische Anwendungen im therapeutischen Bereich. Sie sieht Potenzial darin, dass Therapeuten die Konzepte der aktiven Gestaltung der Zukunft und der Nutzung symbolischer Ressourcen nutzen, um Klienten zu unterstützen. Diese Perspektive ermöglicht es Therapeuten, die Welt ihrer Klienten besser zu verstehen und gemeinsam neue Wege zu entwickeln, die den Umgang mit Veränderungen erleichtern.
Insgesamt betont das Gespräch die Bedeutung von symbolischen Ressourcen und Imagination für das Verständnis und die Bewältigung von Veränderungen in der menschlichen Entwicklung. Diese Konzepte bieten wertvolle Ansätze sowohl in der Forschung als auch in der therapeutischen Praxis.