Hoffnung
Andreas Krafft (2022)
So wie die Angst ist auch die Hoffnung ein existenzielles Phänomen, denn ohne Hoffnung wäre ein menschliches Leben in Würde gar nicht möglich. Wie wichtig Hoffnung für uns Menschen ist, versteht man erst richtig wenn man die Erfahrung der Hoffnungslosigkeit (Beck et al. 1990) gemacht hat. Hoffnung ist vor allem in schwierigen Situationen, in Lebenskrisen und in Zeiten von grosser Unsicherheit von besonderer Bedeutung. Dabei ist Hoffnung nicht mit Optimismus und Zuversicht zu verwechseln. Hoffnung wird vor allem dann relevant, wenn Optimismus und Zuversicht nicht mehr möglich sind: Beispielsweise wenn Menschen mit einer chronischen Krankheit, mit Krieg oder den Verlust von Angehörigen konfrontiert werden.
Seit Jahrhunderten und sogar Jahrtausenden beschäftigen sich verschiedene Disziplinen wie die Philosophie, die Theologie, die Medizin und in den letzten Jahrzehnten vermehrt die Psychologie mit dem Phänomen der Hoffnung. In der Positiven Psychologie wird Hoffnung als Charakterstärke wie auch als positive Emotion konzeptualisiert und erforscht. In ihrem Handbuch zur Klassifizierung von Charakterstärken haben Peterson und Seligman (2004) Hoffnung zur Tugend der Transzendenz gezählt. Gleichzeitig hat Fredrickson (1998) in ihrer Broad-and-Built Theorie Hoffnung als eine der zehn wichtigsten positiven Emotionen definiert. Vielfältige empirische Forschungserkenntnisse im Bereich von Medizin und Pflegewissenschaften haben das Facettenreichtum und die Komplexität von Hoffnung belegt. Es gibt verschiedene Ziele, Quellen und Formen der Hoffnung, mit individuellen, situativen und kulturellen Ausprägungen. Hoffnung ist ein mehrdimensionales Phänomen mit kognitiven, emotionalen, sozialen, spirituellen und motivationalen Elementen (Farran et al. 1995).
Während in der Psychologie Hoffnung nahezu ausschliesslich aus einer kognitiven Perspektive beleuchtet worden ist (Snyder 1991), beschäftigen sich die Philosophie vermehrt mit dem sozialen und gesellschaftlichen und die Theologie mit dem transzendenten Charakter von Hoffnung. In Anlehnung an verschiedene philosophische und psychologische Theorien, lässt sich das Phänomen der Hoffnung auf drei grundsätzliche Elemente zurückführen. Hoffnung beginnt mit einem (bedeutungsvollen) Wunsch und dem Glaube, dass die Erfüllung des Wunsches möglich aber nicht wahrscheinlich ist. In Anbetracht von Unsicherheiten und Hindernissen braucht es für die Hoffnung ein drittes Element, und zwar das Vertrauen in sich, in die eigenen Fähigkeiten, wie auch in andere Menschen und eine höhere Macht.
Hoffnung ist eines der wesentlichen Voraussetzungen für die positive Bewältigung und Überwindung unsicherer und bedrohlicher Situationen, sei es persönlicher Lebenskrisen, gesellschaftlicher Krisen und sogar ökologischer Krisen. Hoffnung ist daher kein reiner Optimismus. In Anerkennung der aktuellen Schwierigkeiten entwickeln wir mit der Hoffnung eine Haltung der Zukunft gegenüber, in der sowohl die Probleme als auch die Chancen, die Möglichkeiten und die Stärken betrachtet werden. Hoffnung ist aber nicht nur ein individualpsychologisches, sondern vor allem ein soziales und sozialpsychologisches Phänomen. Wie gesagt, ohne Hoffnung ist kein würdevolles Leben auf die Dauer möglich.
Ausgewählte deutschsprachige Literatur:
Bloch, E. (1959). Das Prinzip Hoffnung. In fünf Teilen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp TB.
Dalferth, I. U. (2016). Hoffnung. de Gruyter.
Lutz, R. (2007). Hoffnung und Sinn – Hoffnung auf Sinn – Moralphilosophische und logotherapeutische Anmerkungen zur Bedeutung der Hoffnungskategorie für den Willen zum Sinn nach V. E. Frankl. Existenz und Logos, Zeitschrift für sinnzentrierte Therapie, Beratung, Bildung, 15(14), 62-73.
Marcel, G. (1949). Homo Viator, Philosophie der Hoffnung. Düsseldorf: Bastion.
Moltmann, J. (1968). Theologie der Hoffnung. München: Chr. Kaiser.
Hammelstein, P., & Roth, M. (2002). Hoffnung – Grundzüge und Perspektiven eines vernachlässigten Konzeptes. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23(2), 191-203.
Krafft, A. & Walker, A. (2018) Krafft, A. M., & Walker, A. M. (2018). Positive Psychologie der Hoffnung: Grundlagen aus Psychologie, Philosophie. Springer.
Krafft, A. M. (2019). Werte der Hoffnung: Erkenntnisse aus dem Hoffnungsbarometer. Springer.
Krafft, A. M. (2022). Unsere Hoffnungen, unsere Zukunft: Erkenntnisse aus dem Hoffnungsbarometer. Springer.
Ricken, F. S. J. (2014). Die Hoffnung und das gute Leben. Überlegungen im Anschluss an Platon und Thomas von Aquin. Kultura i Wartości, 4(12), 63-74.
Rorty, R. (1994). Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die Pragmatische Philosophie. Passagen Verlag