Die Kunst des Vergebens
Mavrogiorgou, P., Meister, K. & Juckel, G. (2018)
Leitartikel: Der Vergebungsprozess als ein psychotherapeutischer Behandlungsansatz.
Jeder erlebt im Laufe seines Lebens in unterschiedlichem Maße verschiedene Formen von Konflikten. Kränkungen, Ungerechtigkeit, Betrug, Herabwürdigung oder Verletzungen – all dies sind Situationen, in welchen negative Gefühle wie Ärger, Bitterkeit und Zorn hervorgerufen werden. Auch Wut- oder Rachegefühle sind hier typische Reaktionen, jedoch kann das langfristige Verharren in einer passiven Opferrolle zu der Entwicklung einer depressiven Symptomatik führen, man spricht hier auch von einer „Verbitterungsstörung“ (nach Linden, 2003). „Nicht-vergeben-Können“ hängt dabei zusammen mit sowohl geistigem, als auch körperlichem Wohlbefinden. Personen mit zu niedriger Vergebungsbereitschaft leiden mit höherer Wahrscheinlichkeit unter Depressionen, Angst- und Wutgefühlen, sowie unter einem niedrigen Selbstwert. Auch körperliche Komponenten, wie der Blutdruck oder die Kortisolwerte, werden laut Friedberg und Kollegen (2007) von der Unversöhnlichkeit einer Person negativ beeinflusst. Es konnten sogar Zusammenhänge zu chronischen Rückenschmerzen festgestellt werden (Recine, 2015).
Wichtig ist es daher, Vergebung und Verzeihung zu lernen. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Konzepte, welche jedoch beide in der positiven Psychologie zu den glücksbringenden Bewältigungsstrategien zählen. Vergebung meint etwas wie „Loslassen“, also das Aufgeben einer Tatsache, die man nicht ändern kann, während man unter Verzeihen eher den „Verzicht auf Vergeltung“ versteht. Vergeben betont nach Kämmerer (2011) daher stärker das Erlassen der Schuld im Sinne einer Gabe oder Schenkung.
In der Wissenschaft wird zudem unterschieden zwischen der „willentlichen“ und der „emotionalen“ Vergebung.
„Die ‚willentliche‘ Vergebung meint die kognitive Entscheidung und den Entschluss, jemandem zu vergeben und die notwendige Energie für «Vergebungsarbeit» aufzuwenden, um negative Gefühle zu reduzieren.“
„Die ‚emotionale‘ Vergebung bezieht sich auf Gedanken, Motivation und Gefühle, um die negative unversöhnliche Haltung in positive Gefühle zu transformieren (Sinneswandel).“
Nach Worthington und Kollegen (2007) zeigt die emotionale Vergebung stärkere Effekte auf das Wohlbefinden.
Vergebung bedeutet jedoch nicht, den Täter oder die Täterin von den Konsequenzen der Tat zu befreien, diese zu entschuldigen, zu tolerieren oder gar zu vergessen. Es ist unabhängig von Vergebung möglich, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Vergebung meint eher das innere Akzeptieren.
Vergebung kann auch dabei helfen, um den durch die Verletzung hervorgerufenen emotionalen Schmerz zu mindern. Dies erlaubt es der verletzen Person, Kontrolle wiederzuerlangen, den Opferstatus zu verlassen und sich als selbstwirksam zu erleben (Enright et al., 1998).